Einleitung
Die Murut sind ein Stamm in Sabah, auf dem malaiischem Borneo.
Obschon sie eine Minderheit im Vielvölkerstaat Malaisien sind, sind
sie dennoch die drittgrößte ethnische Einheit in Sabah und mit 18
Untersämmen (einer davon die Tataluan), ebensovielen eigenstehenden
Sprachen, und unzähligen Dialekten vertreten. Traditionel leben die
Murut ein einfaches Leben im Innern des Landes, einst von gewaltigen
tropischen Regenwäldern bedeckt. Als Hauptnahrungsmittel bauen sie
Reis in den steilen Hüglen von Zentralsabah an. Die Murut sind auch
gute Jäger, und gewandte Bootsleute. Sie fischen viel und gerne in
den vielen Flüssen, die ihre Straßen sind. Ihr Leben ist von Respekt
vor der Natur gekenzeichnet – die Murut haben eine uralte
animistische Natur Religion – und es dreht sich vornehmlich um den
Reiszyklus, und die damit verbundenen Feste, sowie die Feste, die in
den Familien anfallen: Geburten und Geburtstage, Hochzeiten und
Todesfälle. Die Murut waren einst als die gefürchtetsten Kopfjäger
Borneos bekannt, und es waren wahrscheinlich auch die letzten hier,
die diese Gebräuche aufgegeben haben. Heute sind die Murut vorallem
wegen ihrer überschwenglichen Gastfreundschaft bekannt. Auch früher,
wie noch Köpfe „gejagt” wurden (ein junger Mann mußte einen
Feindesschädel den Eltern seiner ausgewählten Braut präsentieren),
wurde Gastfreundschaft in Ehren gehalten. Man konnte, und man kann
immer noch, in jedem Langhaus um einen Schlafplatz bitten, ohne je
einen Abschlag zu erhalten. Da die Murut in Großfamilien leben, und
manche Männer auch mehrere Frauen haben, wird ein Gast natürlich
sofort von vielen naugierigen Familienmittgliedern umgeben, und es
dauert nie lange bevor Essen und Trinken serviert wird. Mit etwas
Glück erhält man auch Tapai – den hauseigen fermentierten
Süßkartoffelwein der Murut.
Die Entwicklung des Landesinnern durch Holzschlag und Plantagen, und
die Missionare, haben natürlich das Leben der Murut gewaltsam in
relativ kurzer Zeit von Grund auf geändert. Was sich aber nicht
geändert hat ist die spontane und herzliche Bereitschaft, einen Gast
einzuladen, oder ein Fest zu feiern. Wenn man dazu noch zu einer
Murut Hochzeit eingeladen ist, sollte man nie nein sagen, speziell
nicht wenn es sich um eine traditionelle ‘Tina’uh, oder ‘Bului’
handelt. Diese Feste sind nun eher selten geworden, und die Gründe
werden in der nachvolgenden Geschichte klar werden. Nicht nur sind
Tina’uh und Bului Heidenbräuche, die von der Kirche schlecht
toleriert werden. Die Feste sind auch sehr arbeitsaufwendig,
zeitaufwendig, und, fast kontrovers in unserer Zeit: sehr
kostspielig. So werden heute oft nur noch einfache „malaisische“
Hochzeiten arrangiert, wobei die Braut weiß tragen muß, und der
Bräutigam einen schwarzen Anzug. Mich wundert nur, welchen Brauch
sie da eingeführt haben...?
Tina’uh und Bului sind extrem traditionelle Angelegenheiten und
müßen mit mehreren Worten beschrieben werden. Es handelt sich hier
nämlich nicht um eine einfache Hochzeit, wobei Mann und Frau getraut
werden, die Gäste feste feiern, und dann nach Hause gehen. Überall
in Borneo muß für die Frau ein Brautpreis bezahlt werden, und bei
den Murut kann der schon einmal gewaltige Dimensionen annehmen. In
alten Zeiten wurde natürlich die Braut für den Jungen ausgesucht,
und der Vater hat den Brautpreis (pulut) bezahlt. Der Junge hatte
sich als Kopfjäger auszuweisen, und nach der Hochzeit mußte er ein
Stück Urwald für seinen ersten selbstgepflanzten Reis roden. Die
jungen Männer heutzutage gehen in die Stadt und arbeiten für ein
mageres Gehalt in hiesigen Firmen, aber mit dem wenigen Geld haben
sie doch schon die Freiheit, sich ihre Braut selber auszusuchen. Oft
aber hält das Geld nicht für eine Frau hin, und viele Männer nehmen
Bankdarlehnen an, um für den Brautpreis und die Hochzeitsfeier
aufzukommen. Früher wurde kein Geld ausgetauscht, oder nur wenig. Im
Brautpreis hatte es generel zwei enorme, antike chinesische Vasen –
den Tiluan und den Biukul – mehrere kleinere Vasen (Sampa), Gongs,
antike Glasperlen und Halbedesteine (Beads oder Manik), Goldringe,
Elfenbein Armringe, Silberknöpfe, Tuch und Stoffe, und natürlich
Büffel. Auch früher war der Brautprise so enorm, daß man den nötigen
„Betrag“ oft nicht rechtzeitig erarbeiten konnte. Also hatte man die
Braut auf Kredit nach Hause genommen, und manchmal wurden es zwanzig
Jahre und drei Frauen später bevor der Brautpreis endgültig
beglichen wurde, in einer einzigartig farbenprächtigen und sehr
lange dauernden Zeremonie: der Tina’uh, oder Bului. Eigentlich
könnte eine Tina’uh schon zwei Jahre nach der Hochzeit (Limpoho)
abgehalten werden, aber wegen des teuren Brautpreises is das eher
selten der Fall. Heute ist die Tina’uh in der Gefahr, auszusterben,
ganau gleich wie viele Gebräuche die sehr Zeitaufwendig sind und
sich in unserem „modernen“ Leben weniger eignen. Es ist schon so,
daß immer weniger Schwiegereltern verlangen, daß die Hochzeit eine
Limpoho sein muß, den dies würde automatisch später nach einer
Tina’uh oder Bului verlangen. Auch die Limpoho, welche im Haus der
Braut abgehalten werden muß, ist sehr arbeitsaufwendig und immer
weniger Eltern haben die nötige Zeit – etwa eine Woche – um die
Limpoho mit Stil zu begehen, speziell wenn sie in der Nähe einer
größeren Siedlung wohnen und einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.
Denn Murut Festlichkeiten entziehen sich jeder Beschreibung mit
Worten. Vorbereitungen für eine ausgewachsene Tina’uh können schon
mal ein ganzes Dorf für mehr als einen Monat beanspruchen. Tief im
Landesinneren, wo der Reichtum eines Mannes eher noch in Sampa und
Büffeln geschätzt wird, und nicht in Fernsehern und Monatseinkommen,
und wo die Leute noch dem wenig gestörten, uralten und spirituellen
Lebensrhythmus folgen, mit der komplizierten sozialen Struktur der
Großfamilie, ist ein einwochen-Fest natürlich fast eine Beleidigung
an die Natur.
Einzig und alleine das Datum festzulegen bringt lange Disussionen
mit sich, und wenn schließlich alles bedacht wurde muß der Entschluß
mit etwas Vorfreudefeiern bekräftigt werden... Vieles muß bedacht
werden, und am Wichtigsten ist, daß niemand vergessen wird und alle
auch teilnehmen können. Generell kann gesagt werden, daß nach einem
guten Jahr, in dem die Reisernten reich ausgefallen sind, Tina’uhs
abgehlaten werden. 1998 war für das Landesinnere ein solch gutes
Jahr, obschon an der Küste monatelang Trockenheit und Dürre
herrschte, und bis zu zwei Reisernten ausfielen.
Das Datum
Es wurde erlassen, daß Makinik am 11. July 1998 seine „Brautpreisschuld“
Korom, dem Häuptling von Labang, begleichen sollte. Makinik war
schon seit etwas über 20 Jahren mit Sangkina verheiratet, einer
Tochter Koroms und seiner ersten Frau. Makinik hatte nie mehrere
Frauen geheiratet, im Gegensatz zu seinem Schwiegervater, dem
Häuptling: der hatte zur dieser Zeit schon seine vierte Frau und
über 30 Kinder. Das Datum hatte Korom mit allen ‘Tuan Rumah’, den
Patriarchen der enizelnen „Zimmer“ seines Langhauses, festgelegt,
denn die Angelegenheit sollte ja jeden betreffen. Während der
Besprechungen legen die Tuan Rumah fest, wen sie als ‘Sumaang’,
Helfer für das Fest, einladen werden. Dies sind normalerweise
Familienmittglieder, die sowieso zu den Festlichkeiten kommen müssen
und nun noch spezielle Aufgaben erhalten. Es können aber auch
Bekanntschaften sein. Wer zu einer Tina’uh offiziel eingeladen wird
ist eigentlich nicht eingeladen. Es ist eher eine Ausmusterung und
ein Marschbefehl, und die Ankunft aller „Gäste“ ist eher einer
Mobilmachung zu vergleichen, und äußerst eindrücklich. Wer
eingeladen wird, weiß auch, daß dies nicht eine billige
Angelegenheit werden wird. Schon die Reise zurück in das oft sehr
abgelegene Dorf ist kostspielig, und kann zwei Tage dauern. Dann
müßen die Sachen, die in den Datumsverhandlungen festgelegt wurden,
mitgebracht werden, und das kann von Geld über Goldschmuck zu
Büffeln gehen, neben den traditionel vorgeschriebenen Gongs und
Glasperlen. Was verlangt wird ist niedergeschrieben und mit einem
aufwendig geflochtenen ‘Buyuung’, einem Rattankorb, verschickt. Der
Buyuung, an dem eine gute Flechtering zwei bis drei Tage arbeitet,
ist Zeugnis von Traditionen, die noch viel älter sind, und von
Zeiten, in welchen Schrift unbekannt war. Die Muster, die Qualität
der Arbeit und des Rohmaterials waren und sind auch heute noch sehr
wichtig, und wer einen Buyuung erhält wird ihn sehr genau
untersuchen um rauszufinden, wie reich die Festlichkeiten ausfallen
werden. Die Körbe werden durch einen Pöstler, dem ‘Angkaunan’,
verschickt. Der wird den Geladenen auch noch mitteilen, ob sie ‘buka
tapai’ müssen, und wieviel der Preis ist. Es ist Brauch, daß
derjenige, der den Tapai sozusagen „ansticht“ (buka tapai) dem
Besitzers des Sampa, in dem der Tapai fermentiert wurde, einen
bestimmten Betrag in Geld gibt. Außerdem hängen über den Tapaitöpfen
Glasperlen, Früchte, Zigaretten und eingemachtes Fleisch, und das
Kaufen dieser Ware ist nach strengem Brauch und alten Regeln
festgesetzt. Die eingeladenen Gäste sind somit nicht ganz
freiwillige Käufer, und das Geld, welches so hergegeben werden muß,
wird ‘Pamarahan’ genannt.
Vorbereitungen
Wie schließlich alle eingeladen sind, und alle zugestimmt haben –
sollte jemand am vorgeschlagenen Datum verhindert sein müßte ein
neues ausgesucht werden – fangen die Tuan Rumah mit den
Vorbereitungen für die Festlichkeiten an. Dies ist normalerweise
etwa zwei Monate vor dem eigentlichen Fest. Die hochgeschätzten
alten chinesischen Tiluan und Binukul, viele davon aus der Ming
Dynastie, werden mit gekochten Süßkartoffeln und Hefe gefüllt, und
zum Fermentieren weggestellt. Einige dieser Vasen sind so groß, daß
es einen Zentner Kartoffeln braucht um sie zu füllen. Dann werden
natürlich auch noch zahlreiche kleinere Steinguttöpfe mit Tapai
vorbereitet. Diese werden ‘Pemahamis’ genannt, Reservetöpfe
sozusagen, und werden später die großen Tiluan und Binukul, die
zuerst leergetrunken werden, ersetzen. Die Männer müßen auch jagen
gehen, denn es muß viel Fleisch und Fisch eingelegt werden (Tamba no
Assi / Papait), welches später entweder zum Trinken serviert wird,
oder gemäß Brauch verkauft wird. Während die Männer Tapai machen und
jagen tragen die Frauen Erbgut für die Zurschaustellung zusammen:
Halbedelsteine, antike Muschelschalen-Hüftgürtel, antike Stoffe und
Kleider, Gürtel aus spanischen Silbergallonen und silber Straits
Dollars, Goldknöpfe und noch vieles mehr. Sie sind auch sehr damit
beschäftigt, Manik aufzuketten, und Körbe zu flechten. All dies gibt
einem sonst eher ruhigen Murutdorf eine sehr hecktische Note, und
jeder, alt und jung, ist beschäftigt. Dann kommt noch dazu, daß
wegen der vielen geladenen Gäste das Haus vergrößert werden muß,
oder wen das Haus groß genug ist, so muß doch wenigstens die Küche
erweitert werden. Im Fall von Makiniks Tina’uh, welche in Koroms
siebentürigen Langhaus abgehalten wurde, haben einige der früh
angekommenen Familienmittglieder sich ein ganzes, aber temporäres,
Haus vor dem Haupteingang gebaut, komplett mit traditionellem
Palmdach, denn modernere Materialien hätten nur Geld gekostet...
Für eine Tina’uh müßen zwei ‘Sangiang’ errichtet werden,
zeremonielle Holzgerüste. Der eine ist beim Haupteingang des
Langhauses, der andere in der gemeinen Gallerie im Haus selber. Ein
Murut Langhaus hat normalerweise einen Sangiang in der Halle (dort
wird Tapai getrunken...), aber für die Tina’uh muß der hoch
dekoriert werden. Der Sangiang vor dem Haus ist eine interessante
Plattform, die nur einen Zweck hat (neben dem Vorzeigen, daß bald
eine enorme Festlichkeit beginnt): sie ist hier um den Brautpreis
zur Schau zu stellen, denn es wollen ja alle wissen und sehen wie
reich der Makinik ist, und wie viel wert seine Frau ist. Der
Reichtum eines Murut wird im Landesinneren auch heute noch dabei
beurteilt, wieviele antike chinesische Vasen und Gongs er besitzt,
und vieviel Erbgut er zusammenbringen kann. Natürlich, in alten
Zeiten wurden die Schädel der Feinde auch auf diesem Sangiang
präsentiert. Heutzutage trifft man jedoch eher einen brandneuen
Fernseher auf dem Sangiang an als einen frischen, blutigen Schädel.
Hat man mir gesagt.
Interessanterweise besteht die Hauptdekoration des Sangiang aus
langen, weißen Holzstecken, die mit vorsichtig gehobelten Spänen (Ingkuhun)
bedeckt sind, eine Art der Dekoration wie man sie über ganz Borneo
findet.
Ich wurde als nicht-Murut zu Makiniks Tina’uh eingeladen, und somit
hielten sich meine Ausgaben in Grenzen. Ich habe nur zwei Dutzend
Hühner auf dem Markt in Keningau gekauft. Aber alle anderen, die
mich begleiteten, stönten über die Ausgaben, und wie schwierig es
doch sei, den Murut anzugehören. Natürlich finden alle jungen Männer
den Preis für ein Murut Mädchen zu hoch – ach, wie gut die alten
Zeiten doch waren, wo noch der Vater mit dem Brautpreis aufkam...
Die sogenannten Malaienhochzeiten haben die Ausgaben für das
Hochzeitsfest, und generell das Heiraten zwar etwas billiger gemacht,
aber oft scheint das die Männer auch nicht so ganz zu befriedigen,
denn entgültig heißt das auch: weniger festen. Die Medallie hat halt
zwei Seiten. Im Ende jedoch haben die uralten Gebräuche, die das
Leben der Murut regelten, und zum Teil noch immer tun, die Geladenen
mit einer kaum verheimlichten Vorfreude in Anbetracht der
aufkommenden Tina’uh gelassen. Schließlich galt es ja nicht nur
einer außerordentlich ausladenden Feier beizuwohnen. Auch ich ließ
mich von den Vorfreuden anstecken und war noch bevor wir auf dem Weg
nach Labang waren ganz fiebrig und aufegregt.
Es war nicht das erste Mal, daß ich in Labang, einem Außenposten von
Zivilisation war. Aber wie ich diesesmal im Dorf ankam, war ich doch
sehr erstaunt. Die Vorbereitungen für die Tina’uh waren in vollem
Gange. Es war fast, als würde man Ameisen bobachten, überall war
alles in hecktischer aber offenbar koordinierter Bewegung. Einige
der Häuser hatten Brücken, die sie mit dem Langhaus von Korom
verbanden. Dann war da der Sangiang vor Koroms Haus, unübersehbar
und feierlich, laut die Tina’uh verkündend. Männer waren am Nageln,
Sägen, Hacken, und Hobeln. Ich wurde sehr herzlich, jedoch
ungewöhnlich schnell und unzeremoniell willkommen geheißen, und dann
mir selbst überlassen. Jeder hatte eine Arbeit, sogar die Kinder:
Holz in den Küchen stapeln, Wasser bereitstellen, Bootschaften
austragen, und auf die noch Jüngeren aufpassen, denn die Mütter
waren alle am Hühner rupfen, oder am Kochen. Einige der älteren
Kinder waren dabei, hölzerne Säbel zu schnitzen und anzumalen. Gemäß
Tradition würden die dann auf dem Sangaing aufgehängt, und später
den Kindern zum Spielen gegeben. Kopfjägerspiele?
Ich war schon zu manch einer Murut Fete, und der Anblick von langen
Reihen von chinesischen Vasen gefüllt mit Tapai erstaunt ich kaum
noch. Trotzdem, wie ich in das Haus von Korom trat erwartete mich
eine Überraschung: die sieben Tuan Rumah aus Koroms Langhaus hatten
nicht weniger als 29 enorme, antike chinesische Tiluan und Binukul
in einem atemberaubend schönen Arrangement am Sangiang zur Schau
gestellt. Natürlich waren all die Vasen zum überlaufen voll von
Tapai, und sie waren so groß, daß man nur im Stehen davon trinken
konnte. Ich rechnete mir aus, daß man von jeder dieser Vasen
mindestens zwei Tage nonstop trinken könnte – zu diesem Zeitpunkt
wußte ich noch nicht, daß noch mindestens 200 Pemahamis in den
Räumen warteten. Die kostbaren Vasen um den Sangiang waren aus
traditionellen und aus Sicherheitsgründen von einem bunt
gestrichenen, hölzernen Haag umgeben. Korom selbst hatte fünf Tajau
beigesteuert, die von ebensovielen seiner geladenen Gäste
angestochen werden würden, und die ihm dafür Pamarahan bezahlen
werden müssen. Dafür stellt aber Korom nicht nur Tapai zur Verfügung,
sondern auch Tamba (eingemachtes Fleisch und Fisch), Buyuung für ‘Akilimpor’,
den Verkauf der Körbe am Ende der Zeremonien, und den
vielgeschätzten und gesuchten Kampung Reis.
Ich war nicht gerade eine Hilfe bei diesen Vorbereitungen, also
hielt ich mich still in einer Ecke, machte einige Photos, und
schrieb meine Notizen. Wie die eingeladenen Gäste immer mehr wurden
bog sich der Sangiang vor dem Haus unter der Last der Steingut Vasen
und Gongs. Immer wenn ein Boot einlief wurde seine Ankunft schon von
Weitem mit feierlichen Gongschlägen zelebriert. Alle Boote waren
natürlich bis zum es geht nicht mehr gefüllt. Zuerst sprangen immer
die Hunde an Land, dann kamen die Männer und legten das Boot an. Als
nächstes wurden Kleinkinder an Land gereicht, gefolgt von Müttern,
Tapaitöpfen, Gongs, Hühnern und Gepäck. Großmütter und Großväter,
anfänglichs nicht immer sichtbar hinter und unter all der Ladung,
kamen am Schluß und kletterten langsam, aber ebenso voller Vorfreude
die steile Uferbank von Labang hoch. Diejenigen, die in alten
Landrovers über Land ankamen – Labang kann mittels einer Dreckpiste
(mehr Dreck als Piste) erreicht werden – machten ihre Ankunft
ganauso wie die Boote vernehmlich: mit lauten und feierlichen
Gongschlägen.
Das Fest
Die Ankunft der Gäste zog sich über drei Tage hin, und alle nahmen
temporär Quartier im Dewan, der „Gemeindehalle“ von Labang. Die
Sumaang aus Koroms Langhaus servierten den Gästen die Mahlzeiten,
und auf dem Balkon des Dewan wurde in eitler Vorfreude eine kleine
Trinkparty veranstaltet. Wie die Sonne am dritten Tag hinter den
Hügeln von Labang unterging kamen die letzten Gäste an, und
plötzlich waren alle in traditioneller Kleidung. Die Frauen trugen
ihre schwarzen, zeremoniellen langen Röcke, und armlose Blusen, die
beide mit tausenden von Beads verziert, und auf den Köpfen hatten
sie antike Diadems aus Halbedelsteinen. Die Männer trugen ebenfalls
bunt bestickte Hemden, aber anstelle des traditionellen Avu’, des
Lendentuches, trugen sie schwarze Hosen. Irgendwelche Missionare
fanden Hosen dezenter als das Avu’. Wir warteten gespannt auf Korom,
der die Tina’uh eröffnen mußte. Er zog einen Haiang, einen langen
und scharfen Kofpjagersäbel, mit welchem er an der Treppe zum
Sangiang einen Bambusköcher mit gesegnetem Wasser aufschnitt. Dann
sprach er ein paar magische Worte und animistische Gebete und
überreichte den Säbel dem Vater von Makinik. Der tat es Korom gleich,
und in seiner kurzen Ansprache erinnerte uns, wie wichtig es sei,
die uralten Traditionen, Sitten und Gebräuche der lang verstorbenen
Vorfahren in Ehren zu halten. Erst nach dieser einfachen aber
eindrücklichen Öffnungszeremonie durften wir alle auf den Sangiang
um den Brautpreis näher anzuschauen. Makinik und Sangkina saßen auf
einem Thron, von welchem sie die guten Wünsche der Gäste entgegen
nahmen. Endlich gab es den ersten Tapai, aber für diese spezielle
Angelegenheit machen die Murut ein spezielles Gebräu: ‘Linahas’, ein
süßliches, nicht sehr starkes Getränk aus Reis, anstelle von
Cassava. Jeder, der die Treppe hochkam, am Brautpaar vorbei ging und
sich über eine Brücke in das Langhaus machte, mußte ein Glas voll
trinken. Gongs wurden aufgenommen und plötzlich hatte auch ich,
trotzt Protest, einen schweren Gong von der Schulter. Mache dir
keine Sorgen, wurde mir ins Ohr über den chaotischen Lärm geschrieen,
hau einfach auf den Gong und folge uns. Also tat ich, wie geheißen
und stimmte in die Kakaphonie ein. Es ging ja nicht darum,
harmonisch zu sein, sondern alle bösen Geister verzuhalten, und ich
tat mein Bestes. Sieben Male mußten wir um den Brautpreis auf dem
Sangiang gehen. Dann ging es über die Brücke ins Langhaus, wo der
zweite Sangiang hinter Stoff komplett versteckt war. Auch hier
mußten wir sieben Male um das Gerüst, und weil es recht lange war
dauerte die Prozession mindestens zehn Minuten. Der Lärm der Gongs
war unbeschreiblich, und meine Ohren saußten noch lange danach. Auch
ich, wäre ich ein Geist gewesen, wäre geflohen. Während was für mich
absolutes Chaos war begann ‘Antalan’, das Hereinbringen der Pulut in
das Haus. Nun durften die Familien, die sich alle schon einquartiert
hatten, den Brautpreis nocheinmal genau unter die Lupe nehmen, und
viele Diskussionen entstanden. Plötzlich verstummten all die Gongs.
Erwartung war hoch und faßbar. Im warmen Licht der Kerosinlampen sah
ich die Gesichter von Jung und Alt mit scheinenden Augen auf den
Sangiang gerichtet. Schließlich wurde das Tuch langsam vom Gerüst
gewickelt, ein lang erwateter und magischer Moment, die Stille im
Haus war absolut. Ich fühlte mich plötzlich wieder wie der kleine
Junge, der ich war, als wir an Weihnachten vor der Türe warteten,
den kerzenbeleuchteten Christbaum zu erblicken. Die Atmosphäre war
so voller Erwartung und Hoffnung, man konnte sie förmlich greiffen.
Alsbald der Sangiang in seiner vollen Pracht dastand fingen alle an,
lautstark zu reden. Die Dekoration wurde geschätzt und beurteilt,
und für das Ansehen und den Ruf des Hauses ist dies ein
entscheidender Moment. Es darf kein Fehler in der Aufmachung sein.
Sollte etwas nicht stimmen müßten die Tuan Rumah den Gästen heftige
Bußen bezahlen. Aber alles schien perfekt mit den zeitlosen
Gebräuchen übereinzustimmen, und die Gäste machten sich daran, den
Tapai anzustechen. Es war wie das Kommando, die Päcken unter dem
Christbaum zu verteilen und zu öffnen. Jeder fand den Topf, den er
anstechen mußte, zählte die Stoffe und Eier, die über der Öffnung
lagen und den schon zuvor vereinbarten Pamarahan festlegten,
bezahlte, und fing an zu trinken. Offenbar war auch hier alles in
Ordnung, denn es ging alles glatt über die Bühne ohne ein lautes
Wort.
Die nächsten paar Tage verloren sich in einem fröhlichen Fest, in
solch Glückseeligkeit und Sorglosigkeit, daß es ein Sonderrecht und
eine Ehre war, dies zu erfahren. In der modernen und hecktischen
Arbeitswelt, zu einer Verbrauchergesellschaft getrieben, und in
unsere Pläne und Stunden und Minuten gezwungen bleibt uns nicht
einmal an Weihnachten genug Raum richtig zu leben. Hier schien das
Leben perfekt. Wir tranken, aßen, schliefen und tranken wieder.
Tagsüber spielten wir wie kleine Kinder im Wasser, padelten den Fluß
hoch und runter, machten Späße und Balgten uns. Die Zeit schien
einzig und alleine für das Fest sich anzuhalten. Auch diejenigen,
die am härtesten für die Tina’uh gearbeitet hatten, und die, die
noch immer arbeiten mußten, fanden Zeit zum Feiern, und um sich für
den unglaublichen Erfolg der Tina’uh zu belohnen. Die Frauen
verloren sich in langen Besprechungen, und diskutierten die
Aufmachung der ‘Bobok’, lange Kämme von denen bunte Manik hingen.
Die Bobok würden die zu schlachtenden Büffel bestimmen, und es wurde
fast tagtäglich vor dem Haus ein Tier ausgenommen. Hühner folgten
sich auch in sehr schneller Reihe in den Suppentopf, und die Sumaang
servierten tagein und tagaus heiße Suppe und eingemachtes Fleisch
den Trinkern.
Zu Essenszeiten wurden Berge von Speisen von einem Ende zum anderen
des Langhauses ausgbreitet, und dann den einzelnen Familien verteilt.
Während den kurzen Nächten schliefen die Leute kreuz und quer, mehr
oder weniger nach Famile geordnet, aber man mußte jederzeit
aufpassen, nicht auf Leute oder Essen zu stehen wollte man durch das
Haus gehen.
Das Fest dauerte nur fünf Tage und vier Nächte. Aber wie sich die
Teilnehmer auf den langen Weg nach Hause machten, wurden sie reich
für ihr Kommen belohnt. Säcke voll von dem begehrtem Murut
Trockenreis gingen nach Keningau, oder sogar nach Kota Kinabalu,
zusammen mit eingemachtem Wildschweinfleisch und Katzenfisch. Dies
sind Dinge, die die Murut überall begehren, und über alles schätzen,
aber wer in der Stadt lebt hat wenig Möglichkeit unter normalen
Umständen zu Murut Reis zu kommen, geschweige von Eingemachtem.
Außerdem werden kompliziert geflochtene Buyuung gehandelt, und
andere traditionelle Waren, die in der nächsten Zeremonie wieder zu
Gebrauch kommen. Ohne diese traditionellen Güter ist ein Murut, auch
wenn er viel Geld hat, erst richtig arm. In einer Zeit des Wandels
haben die traditionellen Fest der Murut also durchaus noch ihre
Rechte, zu bestehen.
Wörterverzeichnis
Einige Murut Begriffe aus dem Text, und andere, die der Heirat
angehören:In westlichen Gesellschaften
gibt es die Verrlobung – die langsam am aussterben ist – und die
Hochzeit. Verglichen mit den Murut gehen wir sehr spärlich mit
Formalitäten um:
Pinanamung „Verlobung“. Der Brautpreis wird im Haus des
Vaters des zukünftigen Bräutigams festgelegt. Zu diesem
Zeitpunkt werden 10 oder mehr Sarong Tücher ausgetauscht, RM
100, einige Manik und etwas Gold Schmuck. Die erfolgreich
verlaufenen Verhandlungen werden mit Tapaitrinken begonnen,
dauern aber selten mehr als sieben Tage und es sind nur die
Eltern mit Kinder (wenn verheiratet mit Frauen und Männern) des
zukünftigen Brautpaares anwesend.
Ahuod ra ruandu „Das Mädchen (ruandu) zieht in das Haus
der Schwiegereltern“. Gleich nach den erfolgreichen Brautpreis
Verhandlungen.
Amaruli ra baya Eine Woche nach ‘ahuod ra ruandu’ wird
der junge Mann ‘kaunsapan’ und ‘haunsapan’, erste Bezahlungen (baya),
den Schwiegereltern zukommen lassen.
Kaunsapan / Haunsapan
Erste Bezahlungen, normalerweise ein Kochtopf und ein Wok, und
ein antiker Tajau. Normalerweise eine Woche nach ‘ahuod ra
ruandu’. Sehr oft ist das Mädchen nun schwanger. Sollte das
nicht der Fall sein, kann sie immer noch zurückgegeben werden...
Limpoho „Hochzeit“. Einige Monate
nach pinanamung. Der Brautpreis wird überreicht: Binukul und
Tiluan, kleinere Tajaus, Gongs, Manik und Stoffe, und alles was
die Schwiegereltern noch so verlangen, und heutzutage können das
Bargeld sein, ein Generator, Fernseher, u.s.w.... Diese
Zeremonie dauert im Allgemeinen nicht länger als sieben Tage.
Die Eltern der Braut müssen einen Büffel schlachten. Sollten das
Paar nach der Limpoho sich scheiden verliert der Mann seinen
Brautpreis.
Tina’uh / Bului „Letzte Bezahlung“. Der letzte
Betrag wird beglichen, und das kann bis
20 Jahre nach der Limpohozeremonie
geschehen.
Other Murut terms used in the article:
Pulut dowry, bride price
Antalang take the dowry into the house
Akilimpor sell elaborate rattan baskets (day 3)
Pamarahan money paid for the goods suspended from the sangiang
Sumaang a relative who is to give a hand to a tuan rumah (he or
she is later being paid with a small jar, cloth, etc)
Sampa ordinary jar
Tiluan ‘dragon jar’, old and valuable – must be amongst the
dowry
Binukul large heirloom jar – must be amongst the dowry
Pemahamis ‘spare-jar’ containing fermented cassava pulp. These
jars are brought forth when the big tajau are ‘tawar’ – without
any taste any more
Tapai alcoholic drink made from fermented cassava root
Linahas alcoholic drink made from fermented glutinous rice
Tamba no assi pickled meat of wild boar
Tamba no papait pickled fish – both pickles must be served with
tapai
Bobok long comb (ca 3 feet) with equally long strings of beads –
one set consists of four combs. It is assembled by the diverse
close families and relatives of the groom, and one full set
determines one buffalo that has to be provided by the family of
the bride. The buffalo will be slaughtered and eaten by the
congregation
Susukur / Sisitan smaller bobok for limpoho, also
used during the tina'uh during the buka tapai ceremony |
Note by the
author (2006): over the years I have been to many tina'uh,
the reader will have guessed so... the above was my first
experience, and I have neither edited nor corrected the article even
though I have now a much better understanding of the procedures that
mark the different stages of a tina'uh. Over the past five years
there have also been quite a bit of changes - nothing that would
really
alter traditions, but the Murut have, ingeniously,
streamline the procedures!
A decade ago
tina'uh's became less frequent because of their elaborate nature and
costs involved, and also due to missionary influence.
However, over the past five years I have observed the emergence of a certain culture
awareness amongst most ethnic entities in Sabah, the Murut not
excluded. And being at heart a "party people" there are now again
more limpohos - traditional weddings - that will eventually
culminate in a tina'uh even though the work is still massive and
costs only go up. However, the Tahol Murut heartland is now much
easier accessible by road; the younger generation is thinking more
maturely and has brought in a couple of new ideas that make such
parties a bit easier on everybody. Thus, the buka tapai ceremony is
not a long haggling any more, but a pre-arranged price (normally RM
200-250) is paid for each jar. If you are invited to a tina'uh and
you know you have to buka tapai you need not be afraid of what
uncertainties await you. The price has been fixed. You can also take
along susukur and sisitan made from easily available and not very
expensive plastic beads, easily strung and not as difficult to work
with as glass beads. The purist will not agree with these modern
variations, but they do add colour (and that is what it is all
about), make the life of invitees easier and arguably help that the
intricate nature of the tina'uh is passed on. Having fixed prices
does not mean the ceremony is less sophisticated. The procedures that
have been in place and that have been rather rigid for many generations
still apply, but with a little less financial worries. We have to
accept such changes and if they ultimately contribute to the
conservation of cultural aspects so much the better!
Tina'uh's also used
to be hygienic nightmares, something that has completely changed!
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