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Die
Schamanen der Rungus
Verschwindende
animistische Zeremonien in Sabah
by Herman (2002-5) siehe auch:
Die Rungus von Sabah
Überall auf der Welt, in alten animistischen Kulturen, kümmern sich Seher und
Seherinnen, die Schamanen, um die Harmonie zwischen Menschen, Natur und astraler
Welt. In der animistischen Welt ist der Mensch Teil der Natur und auch Teil der
spirituellen Welt. Jede Aktion hat eine Reaktion zur Folge und deshalb ist ein
animistisches Leben oft mit vielen Tabus verbunden. Die natürliche Harmonie
sollte so wenig wie möglich gestört werden, damit der Mensch in Frieden leben
und vom Angebot der Natur profitieren kann. In vielen Teilen der Welt haben sich
allerdings die sogenannten „großen“ Religionen die Freiheit genommen, den
Schamanen das Handwerk zu legen. Der Mensch wurde über Natur und astrale Welt
gestellt, nicht immer mit nur vorteilhaften Ergebnissen. Im Norden von Borneo,
auf der Kudat Halbinsel, findet man noch ganze Dörfer, wo die Bevölkerung den
Missionaren nicht getraut hat – oder sich wieder dem alten Lebensstil zugewendet
hat, nachdem das mit dem Sonntagsgebet nicht so geklappt hat. Die Rungus aus
Kudat sind so ein traditionelles Volk. Die jungen Leute wissen genau, wie „einfach“
das Leben in der Stadt sein kann, ohne die ganzen Tabus der alten Leute und die
Restriktionen der Gesellschaft. Aber es erstaunt mich immer wieder wie ernst sie
sind, wenn sie angehalten werden, etwas über ihr Leben im Dorf zu erzählen. Aus
ihnen spricht ein Stolz, der noch nicht gebrochen wurde. Wenn sie zurück im Dorf
sind, dann fügen sie sich den uralten, bewährten Gesetzen und Regeln ihrer
Rungus Gesellschaft.
Natürlich kann man es nicht verhindern das Gleichgewicht von Menschen, Natur und
astraler Welt zu stören. Will man Reis pflanzen, dann muß ein Feld bestellt
werden. Dazu müssen möglicherweise Bäume gefällt werden. Vielleicht hat es im
neuen Feld auch noch ein „Geisterhaus“, das gestört wird. Dann war da noch die
Hochzeit und der Schlingel vom Nachbar, der ein Huhn geklaut hat. Also müssen
die Bobolizans der Rungus, die Priesterinnen dieses uralten religiösen
Glaubenssystems, verschiedene Zeremonien abhalten, bei denen eventuell auch
Tieropfer dargebracht werden, um die Harmonie wieder herzustellen. Beim Reisfeld
braucht es kein großes Gefolge von Schamanen. Eine Priesterin schaut sich die
Situation an, berät den Besitzer des Feldes und kennzeichnet die Stücke, die
nicht gerodet werden dürfen. Dann werden Reis, vielleicht Eier, sicherlich
Betelnüsse und Tabak. als Opfergaben den Geistern mit den nötigen Inkarnationen
überlassen. Bei der Hochzeit muß ein Schwein geopfert werden. Natürlich wird das
Tier dann sofort gebraten und von der Hochzeitsgesellschaft mit Hochgenuß
verzehrt. Man tötet ja nicht alle Tage ein Schwein! Aber zuvor wird ein
spezielles Blatt (Daun Sogit) mit dem Blut des Schweines benetzt und das
Brautpaar und alle Hochzeitsgäste werden „gezeichnet“. Somit wird sichergestellt,
daß die astralen Wesen das neue Paar anerkennen. Hier wird schließlich eine neue
Familie gemacht. Beim Hühnerdieb kann es auch ganz dramatisch sein, denn er hat
sich Gut eines anderen angeeignet, ohne dessen Einverständnis. Es genügt es
nicht, nur das Huhn zurückzugeben (wenn er es nicht schon verspiesen wurde). Der
rechtmäßige Besitzer kann sogar einen Gong als Wiedergutmachung verlangen. Mit
voller Zustimmung der astralen Welt. Natürlich werden dem Bengel auch noch ein
paar pfiffige Ohrfeigen verpaßt, damit auch er sich daran erinnert, nicht nur
die astralen Wesen!
So gibt es für alle Vergehen und alle Phasen im Leben, von der Geburt bis hin
zum Tode, verschieden Rituale und Zeremonien zu beachten. Einige der Rituale
sind für das Wohl der ganzen Familie da und werden nur alle drei bis fünf Jahre
abgehalten. Die Pomosizau Tagazo ist so eine Zeremonie, aber weil sie bis vier
Tage dauert und regelmäßig neun Schweine kostet, sieben Priesterinnen mit
einbezieht und dann auch noch Palmbier für das ganze Dorf kostet, wird sie immer
seltener gehalten. Das Leben der Rungus, auch weit ab vom Stadtleben, hat sich
geändert und nicht alle haben die nötige Zeit und Schweine, oder Erfahrung, so
eine Zeremonie zu halten. Aber sie kommt noch vor und wenn die Pomosizau Tagazo
abgehalten wird, dann strömen alle zusammen um teilzunehmen. Und neben den
sieben Priesterinnen, von denen zwei Hohenpriesterinnen sind – bobolizan tagazo
–, findet man immer eine ganze Reihe von aspirierenden Schamanen, die kommen um
zu lernen. Natürlich ist das Gesamtbild der Zeremonie das einer ziemlich
ausladenden Party, bei der auch Unmengen von hausgemachtem Tinonggilan (Maisbier),
Kinopi (eine Art Reiswein, wobei der Reis geröstet wird) und Goribon (Palmbier)
getrunken wird!
Die Vorbereitungen für das Fest dauern etwa einen Monat. Feuerholz für die Küche
wird gesammelt, Reis gedroschen, Palm- und Maisbier gebraut und all die nötigen
Instrumente für das Zeremoniell werden zusammengetragen. Es ist sehr oft so, daß
die Familie, die die Zeremonie abhält, nicht alles selber bereitstellen kann,
und dann helfen eben die Nachbarn aus: zwei große, antike Chinesische Töpfe, ein
Blasrohr, sieben Gongs, eine Trommel, das hat nicht jede Familie, also leiht man
es sich aus. Andere Geräte macht man während der Zeremonie, aber das Material
muß zuvor im Dschungel besorgt werden: Bambus, Silad (Palmwedel), Kapok (Watte),
Gombizau und andere Blätter die die Priesterinnen für die verschiedenen Rituale
benötigen.
Schließlich kommt der große Tag. Die Rituale fangen immer bei einem Vollmond an
und zuerst wird ein Bambus vor das Haus gepflanzt, eine Art „Flaggenstange“ um
die Geister einzuladen, denn die Pomisozau Tagazo ist ein Fest, das allen offen
ist. Natürlich werden auch gleich ein paar Opfergaben an die Flaggenstange
gemacht, so daß jeder sieht hier geht es mit guten Vorsätzen in eine seriöse
Party. Erste Schweine werden geschlachtet und jeder trinkt zeremoniell durch ein
Bambusrohr vom Tapai, dem Reiswein, aus den antiken Chinesischen Töpfen. Am
ersten Tag allerdings geschieht nicht viel was den Laien interessieren würde,
wie überhaupt Vieles nicht sehr spektakulär anmutet. Was die Schamanen tun ist
für uns Normalsterbliche nicht sehr verständlich! So werden am ersten Tag viele
anfängliche Gebete gesungen und die Priesterinnen vergleichen ihre „Notizen“.
Die zwei Hohenpriesterinnen tragen vom ersten Tag an komplett traditionelle
Kleidung: alte, von ihren Müttern und Großmüttern geerbte, handgewobene und
reich verzierte (jedoch sichtlich vergilbte und manchmal mottenzerfressene)
Röcke, genannt Tinongkupan, mit uralten Glocken am Saum. Sie tragen auch Saring,
schwere Metallspiralen, die den halben Unterarm einfassen. Schwere Armringe aus
riesige Muschelschalen und viele bunte, antike Beads, sowie einen breiten Gürtel,
den Orot, der ebenfalls aus Metallspiralen gemacht ist und bis zu zwei Kilos
wiegen kann!
Richtige „Action“ für den Zuschauer beginnt gegen acht am Abend des zweiten
Tages. Alle sieben Priesterinnen haben sich in traditionelle Kostüme gekleidet,
tragen alle ihre besten Beads und was sonst noch an Accessoires zu finden ist.
Ihren Kopfschmuck haben sie mit Silad ergänzt, das mystisch-magische Palmblatt,
welches in ganz Borneo gebraucht wird um böse Geister fernzuhalten. Dann fangen
sie an Gebete zu sprechen, endlose Litaneien und Inkarnationen, in einer uralten
Sprache die schon lange vergessen ist. Nur die Schamanen können das immense
Wissen, welches in den Litaneien verschlüsselt ist, erklären: Legenden und
Mythen die den Anfang der ganzen Schöpfung Gottes erzählen, die Namen aller
seiner Kreationen, weltlich und astral, beinhalten. Es ist ein Marathon-Gebet,
das die Priesterinnen bis früh in den Morgen nicht schlafen lassen wird und sich
wie die Litaneien in einem Buddhistischen Tempel durch die Nacht zieht. Die
meisten Anwesenden fallen in Schlaf, bis nur noch die Priesterinnen wachen und
beten, die ganze Schöpfung anrufen, jeden bei Namen nennen, und die Geschichte
des Menschen, der astralen Wesen und der ganzen Welt wiederholen.
In der Früh, wie die Sonne schon über die Hügel gestiegen ist, verstimmen die
Gebete, und einige der jüngeren Priesterinnen legen sich kurz schlafen. Aber die
ehrfürchtigen Hohenpriesterinnen scheinen verklärt zu sein, wacher denn je, aber
auch entrückt und auf einer anderen Ebene. Gegen acht Uhr in der Früh des
dritten Tages, des wichtigsten Tages, werden dann drei lebendige Schweine ins
Haus gebracht. Normalerweise wäre das ein schwerwiegendes Tabu, genauso wie die
Zitronen, Körbe und andere Haushaltsgegenstände, die nicht ins Haus, oder
wenigstens nicht in die Küche gebracht werden dürfen. Aber nun ist ein großer
Feiertag, alle sind eingeladen, und alle Tabus im Hause müßen gebrochen werden,
damit sie am Ende der Feier mit neuen Versprechungen und einem neuen Packt
wieder verstärkt werden können.
Das Haus ist nun wieder voller Leute und schwankt auf seinen Stelzen hin und
her. Jüngere Priesterinnen bereiten nochmals Gebete vor, während sich zuerst die
eine Hohenpriesterin in Trance begibt, dann die andere. Es ist ein
furchteinflößendes Ritual und sehr eindrücklich. Die alte Hohenpriesterin, in
voller Montur und mit Blasrohr springt scheinbar ziellos von Geistern besessen
durchs Haus, wobei sie immer wieder auf die Schweine zurückkommt und sie mit dem
Blasrohr pikt, mit den Füßen tritt, und alles Schlechte und Böse auf sie
überführt. Das Schwein als Botschaftsträger, eine Art Sündenbock. Wenn die
Priesterinnen das Ritual vollenden und wieder in ihr normales Dasein fallen,
macht sich Müdigkeit breit. Sie sind weit über siebzig Jahre alt, und wenn man
von Geistern besessen wird und im Haus während zehn Minuten wie ein fünfjähriges
Mädchen herumhüpft, das geht nicht spurlos vorbei! Somit ist die Zeremonie auch
fast vorbei. Die Schweine werden eines nach dem anderen gleich im Haus
geschlachtet, normalerweise auch ein Tabu. Nachdem die Borsten abgesengt wurden,
werden die Schweine in einer sehr präzisen Art geschlachtet, damit die Geister
nicht ärgerlich werden. Etwas vom Schweinefleisch wird gleich gebraten und
vieles gekocht, aber große Stücke werden auf die Seite gelegt, als Lohn für die
Schamanen für die drei Tage Arbeit.
Endlich können die Gongs geschlagen werden, und die Anwesenden lassen sich nicht
lange beten. Zuerst tanzen die Priesterinnen zu dem Gedröhne der alten Gongs,
dann werden auch jüngere Anwesende eingeladen. Der Tag wird Nacht, mehr Palmbier
fließt, und während die Priesterinnen nun friedlich schlafen, hauen die
Weltlichen so richtig auf die Pauke, wortwörtlich. Aber auch das hat ein Ende,
der Alkohol rafft einen nach dem anderen in tiefen Schlaf, bis ein Bild
unglaublicher Zerstörung im Haus herrscht: scheinbar leblose Körper liegen kreuz
und quer übereinander, hier und dort stöhnt und röchelt noch einer, und ein oder
zwei Hunde suchen nach Knochen zwischen den dampfenden "Alkoholleichen".
In der Früh sind alle verschwunden. Entweder haben sie sich ins dunkle Kühl
ihres eigenen Hauses verzogen und schlafen den Rausch aus, oder sie sind, mit
zusammengebissenen Zähnen, ins Feld arbeiten gegangen. Das gute an den
Bambushäusern hier ist, daß sie sehr einfach sauber zu halten sind. Schon vor
dem Mittag des vierten Tages würde nichts mehr die tolle Fete verraten, wäre es
nicht das geschäftige Geschwätz der Priesterinnen, die sich immer noch im Haus
aufhalten und – trinken! Tja, nach drei Tagen schwerer Arbeit, wobei sich so die
meisten ziemlich amüsiert hatten, das ruft nach einem Gläschen für die Schamanen
am vierten Tag! Aber das wichtigste ist, daß die Harmonie zwischen Menschen,
Natur und astraler Welt wiederhergestellt ist und daß der uralte Packt zwischen
Schöpfung und Schöpfer mit neuen Versprechungen gefestigt wurde.
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